es Fadespüehli: 🧵
Alternative Beziehungsmodelle oder offene Beziehung. Führt man als Paar auf Augenhöhe eine solche, dann folgen schnell die Vorurteile der Gesellschaft. Doch, was bedeutet es eine offene Beziehung zu führen? Spoiler: es ist viel mehr miteinander reden als sonst was anderes.
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Vor genau einem Jahr haben wir uns entschlossen, dass wir an unserer Beziehung etwas ändern müssen. Wir sind seit 17 Jahren zusammen und 14 Jahre verheiratet. Die Kinder sind in einem Alter, in dem sie sich selbst beschäftigen und bereits etwas flügge werden.
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Die Bedürfnisse innerhalb der Beziehung haben sich verändert. Wir haben uns verändert. Der permanente Fokus auf den Partner fühlt sich wie ein stetes Jucken oder wund sein an. Man funktioniert nur noch und vergisst sich selbst.
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In langen Gesprächen haben wir unsere gemeinsame Zukunft visioniert und bemerkt, dass es so wie es war, nicht weiter gehen kann. Vor genau einem Jahr hat meine Frau für sich beschlossen auf einem einschlägigen Portal ein Konto für uns zu eröffnen.
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Zuerst war da sehr viel Verwunderung, insgeheim war es ja auch mein Wunsch nach Veränderung; eine Variante den Fokus vom Gegenüber lösen zu können. Ihre Metapher: "Man isst ja nicht sein Leben lang nur Erdbeermarmelade, sondern probiert mal Aprikose und kehrt dann gerne wieder zu den Erdbeeren
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zurück." war für mich zu Beginn etwas komisch. Ich fühlte mich auf einen Brotaufstrich reduziert. Der Gedanke, nicht zu genügen keimte in mir. Auch hier half nur darüber zu sprechen. Jeder Zweifel, alles, was sich nicht stimmig anfühlte wurde gemeinsam angeschaut.
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Wichtig dabei ist es den andern ausreden zu lassen und sich nicht wieder im eigenen Kopfkino hinzusetzen. Die Bedürfnisse des Partners unbewertet anzunehmen ist wichtig.
Langsam folgten die ersten Dates, die fühlten sich sehr fremd an.
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Der Partner weiss jeweils Bescheid, wo und mit wem man unterwegs ist. Es ist kein Fremdgehen, keine Affäre und trotzdem dachte ich ans Betrügen und fühlte mich schlecht dabei. Ich merkte wie die Muster der eingeredeten Monogamie und die Gesellschaft ihren Teil dazu beigetragen haben.
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Trotz eines «Freifahrt»-Scheins wollte ich es doch nicht. Und wieder folgten viele Gespräche zu den Zweifeln, dem erlebten und den Möglichkeiten. Meine Frau hatte ihre Bekanntschaften und ich hatte meine.
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Wir bemerkten auch, dass es für die «Sideshows» (wir nennen sie so, da es für uns keine Affären sind) komisch ist sich mit uns zu treffen. Diese gelebte Transparenz und Offenheit auf unserer Seite verunsicherten zu sehr.
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Da war einerseits jemand bei ihr, der sehr verwundert darüber war, dass ich wusste, wo sich meine Frau befand und zu welchem Zweck. Er fragte nach was jetzt sei, wenn ich plötzlich vor der Tür stehe und ihm eine reinhauen würde.
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Oder bei mir war jemand sehr verwundert darüber, dass sich meine Frau Gedanken machte, ob ich denn auch meine Intimrasur erledigte, damit alles geschmeidig wäre. Wir bemerkten, dass diese Offenheit für die involvierten Personen nicht angenehm ist, aber auch ein Teil des Deals, den sie annehmen
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dürfen.
Unsere Kinder kamen uns auch auf die Schliche und stellten uns zur Rede. Ob wir uns trennen würden, war ihre Frage. Wieder folgten viele Diskussionen. Sei es als Familie und jeder einzelne von uns mit einem der Kinder oder gemeinsam.
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Doch es gab ihnen die Sicherheit, dass wir als Familie weiter existieren werden und es kehrte eine schöne Entspannung in unser Leben. Insgesamt reagierte ein grosser Teil unseres Umfeldes sehr positiv auf unsere offene Beziehung. Wir gehen nicht damit hausieren oder missionieren.
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Wir wissen, dass es nicht für jeden der richtige Weg ist die eigene Beziehung umzugestalten. Ich sehe es zum Beispiel nicht als Rettung, sondern eher als eine Renovation der bestehenden Beziehung. Eine Trennung kam für uns nicht in Frage, denn man verfällt wieder in alte Muster und spätestens
15/22
in ein paar Jahren in einer neuen Beziehung ist man wieder am selben Punkt angelangt. Sich den eigenen Ängsten und Unsicherheiten zu stellen ist oft ein schmerzhafter Prozess und bringt Dinge an die Oberfläche, die man jahrelang meisterhaft ignoriert hat.
Es gibt viel Literatur zu dem Thema.
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Ratgeber, kritische Auseinandersetzungen mit dem Patriarchat, feministische oder queere Sichtweisen auf offene Beziehungen. Es lohnt sich einen Blick in die Bücher zu werfen. Für sich selbst und für die Beziehung rauszunehmen was stimmt.
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Am Ende sollte jeder eine glückliche Beziehung zu sich selbst und für die Beziehung führen.
Zurück zum Ausgangsthema. Eine Offene Beziehung hat nichts mit der «freien Liebe» der 68er zu tun. Die «freie Liebe» von damals war im Grunde auch nur ein patriarchalisches Konstrukt, wie man an den
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lebenden Figuren sehen kann. Da waren unsere Grosseltern oder noch eine Generation davor freier in den Gedanken und im Tun. Eine offene Beziehung kann monogam sein. Man führt eine «Homebase» und geniesst das «Nach Hause kommen» umso mehr.
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Und es bedeutet nicht, dass man als Frau nun jedem zur Verfügung («du bist doch in einer offenen Beziehung? Dann können wir doch einfach…») steht oder als Mann alles bespringt, was bei drei nicht auf dem Baum ist.
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Im Gegenteil, denn stelle ich «die Erlebnisse» gegen «die Gespräche», so ist es eher im Faktor 1 zu 1000. Ist die Offene Beziehung nicht monogam, dann ist es Polyamorie, und da sind wir (noch) nicht.
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Sehr spannend zu lesen, danke fürs Teilen! Es gibt statt Trennung wirklich viele Alternativen. Wenn die Liebe noch da ist. Das geht gerne vergessen. Ich bin sehr happy für euch, dass ihr euch da so gefunden habt! 🫶 Darf ich fragen, ob ihr euch Unterstützung (Paartherapie z.b.) geholt habt?
Gerne. Und Danke Dir fürs Lesen. Nein, wir haben das ohne Therapeuten hinbekommen. Wobei wir unabhängig voneinander systemisch "betreut" werden, die offene Beziehung ist aber in den Sessions nciht das Hauptthema.
Okay, das ist ja echt ne kommunikative Leistung. Wir sind ja seit Jahren regelmässig bei einer Paartherapeutin, und dank ihr haben wir auch recht unsere internalisierten Vorurteile bezüglich Beziehungsformen abbauen können, auch wenn wir (noch) nichts umgesetzt haben.
Herzlichen Dank für deine Offenheit. Und plötzlich macht der Handle absolut Sinn. 😉
Nein, Spass beiseite. Ich finde das grossartig, wie ihr einen gemeinsamen Weg gefunden habt. Spannend auch, dass ihr eure Kids (gezwungenermassen) irgendwann mitnehmen musstest. Hohe Schule, Chapeau! 👌🏻
Füdlibürger war ich schon auf Twitter, dort schellte ich einfach über Politik und die trümmligen der Tubelipartei. Hier möchte ich auf solche Dinge verzichten und mehr ins Positive gehen.
Nein eher zusammen unterwegs um Neues zu entdecken.
Aber die Kernpunkte Kommunikation und Ehrlichkeit/Offenheit sind ja die gleichen. Und es ist schön zu lesen das wie es anderen ergeht die mit Konventionen brechen.
Danke für den Einblick. Auch ich lebe seit 11 J. in einer offenen Partnerschaft: mal mehr, mal weniger, auch ein paar Jahre gar nichts. Bis jetzt wissen nur ein paar wenige davon - leider. Viele würden unseren Weg nicht verstehen. Damit habe ich wiederum Mühe.
Bei uns sind sie noch im Grundschulalter, das wird noch warten müssen, bis sie es erfahren.
Die Engsten bei mir, sind eher die Konservativsten…😅 mal sehen. Ich bin aber schon viel weiter als vor 2-3 Jahren😅
Es braucht Zeit und Geduld. Und auch den Mut bei sich und seinen Ängsten hinzuschauen. Und natürlich auch das Gegenüber, welches alles mit trägt auf seiner Seite. Hauptsache die Kids merken, dass alles in Ordnung ist und sich die Eltern lieb haben.
Spannend, merci für's Teilen!
Wir haben so was auch mal angedacht, es hat sich dann aber im Sand verlaufen, weil unser Hauptproblem nicht Langeweile ist sondern dass wir zu wenig Zeit haben für uns als Personen und zusammen als Paar. Da hätte sich so ein "Hobby" wie Arbeit angefühlt :-D
Ja, 32 Jahre ;-)
In unseren Diskussionen sind wir zum Schluss gekommen, dass wenn wir uns noch anderweitig umsehen würden, schlicht keine Zeit mehr bliebe, um an unserer Beziehung zu "arbeiten". Wir schaffen es so alle 3 Monate mal ein kinderfreies WE einzuschieben, sonst ist hier immer Remmidemmi.
Auch exklusiv schließt poly nicht aus. Es können ja auch zB drei Menschen miteinander exklusiv eine Beziehung führen. Also als ein nur wir drei, niemand sonst, keine offene Beziehung.
Oder, noch schlimmer: Schlechteres anbieten, Hauptsache, es ist etwas anderes.
Die Kritik an der AfD ist ja nicht, dass sie eine Alternative sind, sondern, dass sie eine noch schlechtere Alternative sind als das, was wir haben. Das ist keine Bejahung dessen, was wir haben.
"[W]ir sind dazu unfähig geworden, an eine uns bestimmte Zukunft zu glauben, so wie die Alten glaubten, welche – anders als wir – in Beziehung auf das, was kommt, viel weniger Skeptiker waren als in Beziehung auf das, was da ist." #Nietzsche
Seit wir uns getrennt haben, reden wir mehr miteinander, lachen viel mehr zusammen und sind insgesamt wesentlich lockerer als vorher. Als hätte man uns einen Felsbrocken von den Schultern genommen. Natürlich gibt es Momente der Traurigkeit. Nach fast 20 Jahren als Paar verständlich. 1/x
F und ich erleben gerade auf verschiedenen Ebenen eine Renaissance unserer Beziehung.
Jetzt in der ATZ und nachdem die Kinder ausgezogen sind, musste sich einiges ändern.
Ich denke, wir sind gerade auf einem sehr guten Weg für uns.
Der Herzmensch und seine Partnerperson führen seit längerem eine offene Beziehung, sie hat ebenfalls eine weitere Beziehung am Laufen. Nun wirft sie ihm aus heiterem Himmel vor, er hätte ihr die offene Beziehung aufgezwungen und sie wollte das nie. Okay?
Beim Lesen der Replies: Wäre es nicht sinnvoll, zwischen „offene Beziehung“ und „polyamore Beziehung“ zu differenzieren?
Könnte mir vorstellen, dass es für monoamor Veranlagte ein bisschen leichter ist, eine offene Beziehung zu akzeptieren.
dagegen ankämpfen.
Weil wir wissen, wir können eine bessere Beziehung führen, als mit unseren Ex-Partnern.
Aber die Schmerzen, die uns das verursacht, sind Wachstumsschmerzen.
Muss daran denken, wie die Große vor einem Jahr in unserer ohnehin schon sehr schwierigen Beziehung auf einen Schlag sämtliches Vertrauen eingerissen hat. Und das war noch nichtmal der Tiefpunkt an unserer Beziehung. Und trotzdem sind wir als Familie zusammengewachsen. #Pflegekinder #Pflegeeltern
Ich persönlich denke, dass das zwar eine gute Idee ist, aber leider nicht mehr als eine Floskel und wir sind an einem Punkt, an dem wir uns nettes rumfloskeln nicht länger leisten können. Wir müssen jetzt wirklich was tun, sonst ist es zu spät.
Es ist wirklich erschreckend zu realisieren, dass man die eigenen Eltern nicht charakterisieren und die Beziehung zu ihnen beschreiben kann, obwohl man 32 Jahre unter einem Dach gelebt hat. Rückblickend waren wir eher eine WG als eine Familie.
Das hatte die Frau auch gedacht. Doch es kam anders. Durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, hat sich unsere Beziehung sehr viel mehr gefestigt, wir sind uns näher als vorher und ihre Verlustangst ist weg.
wir hatten uns da gleich drüber unterhalten und sind uns einig, dass wir auf jeden Fall erstmal eine offene Beziehung ausprobieren möchten.
Man rechnet ja auch damit Stellen zu entdecken an denen es hakt.
Womit ich nicht gerechnet habe ist,
Oh, was haben wir in ähnlicher Situation zu hören bekommen!
Wir haben nach der Trennung auch noch 1,5 Jahre als WG zusammen gewohnt.
Es hat sich gelohnt - auch weil wir zwangsläufig an der Definition unserer Post-Beziehung-Beziehung arbeiten mussten. Und das hat sich ausgezahlt. Alles Gute euch!
Genau, wir brauchen eine neue Gesellschaftsform. Der Kapitalismus ist am Ende. Doch was können wir tun? Es liegt an uns als Menschheit etwas zu tun. Es ist an der Zeit das sich jeder einzelne und wir als Gesellschaft die Frage stellen "Wie wollen wir Leben?"
Prinzipiell immer - denn eine Beziehung beruht auf bestimmten (leider oft unausgesprochenen) Bedingungen, auf die sich beide einlassen. Beispielsweise gehe ich davon aus, dass wir eine monogame, keine poly oder offene Beziehung führen. Die Nichteinhaltung würde zum Ende führen 1/2
Eine Offene Beziehung und Monogamie ist kein Widerspruch. Wir sehen uns nicht als Polyamor. Wir haben einfach nicht den Fokus auf den jeweilig anderen. Es dürfen Bekanntschaften entstehen und auch intim werden. Es bedarf einer grundlegenden Ehrlichkeit sich und dem Partner gegenüber.
Seit 11 Jahren mit der Frau zusammen, 16 Jahre Altersunterschied (sie älter).
Wir können grundsätzlich über alles reden, wir holen uns gegenseitig immer wieder runter und vor allem, absolute Freiheit in den Aktivitäten (keine offene Beziehung :D)
Quatsch - wir sind eine Gesellschaft in der viele viel zu zurückhaltend sind und Missstände und Unrecht zu klaglos ertragen. Und dann gibt es einige, die Empörung als große Show inszenieren. Ich habe bereits vor einem Jahr aufgrund eines mir bekannten Falles in einem Tweet auf den Missbrauch der...